Deutsche Staatsanwälte fordern zwölf Jahre Gefängnis für ehemaliges Stasi-Mitglied wegen Mordes

BERLIN – Deutsche Staatsanwälte haben am Montag eine zwölfjährige Haftstrafe für einen ehemaligen Stasi-Beamten wegen Mordes an einem polnischen Staatsbürger am Berliner Grenzübergang im Jahr 1974 beantragt. Das Urteil wird für den 14. Oktober erwartet. Das berichtet die Nachrichtenagentur AFP.

Laut Anklage schoss Martin Naumann (80), ein ehemaliger Mitarbeiter der DDR-Geheimpolizei Stasi, Czeslaw Kukuczka aus nächster Nähe in den Rücken, als dieser versuchte, in Richtung Westen zu fliehen. Am Tag des Mordes beantragte Kukuczka bei der polnischen Botschaft in Ostberlin die Ausreise nach Westdeutschland.

Archivvideo

Zuzana Čaputová verabschiedete sich in Brüssel von der Gemeinschaft ihrer Landsleute (Quelle: TASR/Jaromír Novak)

Jüngsten historischen Recherchen zufolge drohte der 38-Jährige daraufhin damit, eine gefälschte Bombe zu zünden, falls seinen Forderungen nicht nachgekommen würde. Offenbar stimmten die Botschaftsmitarbeiter Kukuczkas Antrag zu und alarmierten gleichzeitig die ostdeutschen Behörden.

Stasi-Mitarbeiter erteilten Kukuczko ein Ausreisevisum und brachten ihn zum Bahnhof Friedrichstraße im Zentrum Berlins, einem der berühmtesten Grenzübergänge in den Westen. Den Archivunterlagen zufolge wurde den Stasi-Angehörigen der Auftrag erteilt, den Polen „unschädlich“ zu machen. Historikern zufolge bezieht sich dieser in Stasi-Unterlagen verwendete Euphemismus auf die Liquidierung politischer Gegner.

Kukuczka überquerte zwei der drei Kontrollpunkte und wurde von Naumann erschossen, der sich hinter einer Abschirmung versteckte, teilten die Staatsanwälte mit. Zeugen der Tat waren drei Schüler aus Westdeutschland, die von einem Schulausflug zurückkehrten. Derzeit haben erwachsene Frauen vor Gericht ausgesagt.

Zu Beginn der Anhörung im März wies Naumann über seine Anwälte die Vorwürfe zurück und weigerte sich, in allen Anhörungen auszusagen. Seine Verteidigerin Andrea Liebscher argumentierte am Montag vor Gericht, es gebe keine Beweise dafür, dass Naumann der Schütze sei oder dass es sich bei der Tötung um Mord und nicht um Totschlag gehandelt habe.

Staatsanwältin Henrike Hillmann nennt die Schießerei „einen heimtückischen Mordfall“. Anstatt dem ahnungslosen Mann in den Rücken zu schießen, hätte Naumann seiner Meinung nach zumindest einen Schlag in den Arm oder das Bein haben können.

Langwieriges Gerichtsverfahren

Die lange Verzögerung des Prozesses gegen Naumann verdeutlicht die Schwierigkeiten, den Opfern der ehemaligen kommunistischen Regierung in Deutschland Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Zwischen 1961 und 1989 starben mindestens 140 Menschen beim Versuch, die Berliner Mauer zu überqueren, und Hunderte weitere starben bei dem Versuch, „Ostdeutschland“ auf andere Weise zu entkommen.

Ostdeutsche Beamte, die wegen Verbrechen aus der Zeit des Kommunismus angeklagt wurden, wurden in der Regel wegen Totschlags angeklagt. Dabei handelt es sich um ein Bagatelldelikt, das im Fall Naumann verjährt wäre.

Meta Kron

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